Problemzentriertes Interview

Einleitung: Problemzentriertes Interview

Das problemzentrierte Interview (PZI) ist eine Form der leitfadengestützten Interviews, die eher theoriegenerierend vorgeht und weniger theorieüberprüfend. Es lehnt sich somit an das Paradigma der Grounded Theory Methodology [552] an, aufgrund der Leitfadenverwendung werden Vorannahmen zum untersuchenden Phänomen jedoch nicht ausgeklammert. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld zwischen deduktivem Vorwissen und induktiver Ergänzung durch das Material. Für die Leitfadengenerierung bedeutet dies, das Vorwissen über die untersuchende Problematik in Leitfragen festzuhalten. Bei der Interviewführung ist zudem zentral eine Bereitschaft dafür zu besitzen, auf neue Aspekte einzugehen und so das Vorwissen mit den unmittelbar neuen Informationen anzureichern. Das setzt bei der Interviewführung eine besondere Flexibilität vorraus. Diese bewusst flexible Vorgehensweise soll ermöglichen, dass die Interviewaussage keine bereits vorhandene Theorie „übergestülpt“ bekommt. Die/der Befragte setzt ihre/seine Relevanzen zum untersuchenden Phänomen selbst, das vorhandene Vorwissen durch den Interviewer gestaltet lediglich den Leitfaden und dient dazu das Phänomen aufzubrechen.

Durchführungsprinzipien für problemzentrierte Interviews

Wie durch die Einleitung schon deutlich wird, gibt es zwar bereits ein Konzept zum untersuchenden Phänomen, welches die Leitfragen gestaltet, die/der Befragte modifiziert dieses Konzept jedoch durch den subjektiven Gesprächsbeitrag. Das lässt ein Spannungsverhältnis entstehen zwischen Deduktion und Induktion, um mit diesem Spannungsfeld forschungspraktisch zu arbeiten, gestaltete Witzel drei Grundprinzipien für das problemzentierte Interview:

Die Problemzentriertheit beschreibt die "objektiv" vorhandene Problemlage des zu untersuchenden Phänomens. Diese Problemlage ist theoretisch verankert und/oder auf Vorannahmen gestützt und somit deduktiv. Aus der Analyse der Problemlage ergeben sich Aspekte zum Phänomen, die den Leitfaden gestalten.

Die Gegenstandorientierung beschreibt die Anpassungsfähigkeit der Methode gegenüber der diversen Forschungsgegenstände.

Die Prozessorientierung beschreibt die flexible Analyse des Problemfeldes, welche besonders bei der Interviewdurchführung zum Tragen kommt. Eine bewusste Offenheit gegenüber neuen Aspekten durch die zu befragenden Personen, wird in die Problemanalyse mitaufgenommen. Das Problemfeld erweitert sich potentiell durch das Gesagte (Induktion).

Instrumente zur Durchführung problemzentrierter Interviews

Die Durchführung des PZI wird durch vier Instrumente unterstützt:

Der Kurzfragebogen erfasst die objektiven sozioökonomischen Merkmale des/der Befragten (z.B. Alter, Geschlecht, Beruf, Bildungsgrad, ...). Dieser ist je nach Fragestellung mehr oder weniger umfangreich aufgebaut und dient lediglich der Einbettung des Samples.

Der Leitfaden hält sich an die üblichen Regeln eines leitfadengestützten Interviews, näheres zur Frageformulierung jedoch im Kapitel zum Leitfadengestützten Interview. Insgesamt kann man zu den Leitfragen erwähnen, dass sie als eine Art Gedächtnisstütze dienen, die die bisherigen Vorannahmen zum Problemfeld beschreiben.

Die Tonaufzeichnung ermöglicht die präzise und authentische Erfassung des Gesagten und lässt Gedächtnisprotokolle wegfallen. Im Anschluss ist es üblich das Gesagte vollständig zu transkribieren, um den gesamten Kommunikationsprozess darzustellen.

Das Postskriptum wird unmittelbar nach dem Gespräch angelegt und enthält erwähnte Gesprächsinhalte. Darüber hinaus können gebenenfalls besondere Gesprächsinhalte von Externen, die im Feld etwas berichtet haben, aufgenommen werden. Auch nonverbale oder situative Aspekte können im Postskriptum festgehalten werden.

Aufbau des problemzentrierten Interviews

Das PZI besteht ist ein diskursiv-dialogisches Verfahren, welches die Aussagen der Befragten auf die jeweilige Problematik fokussiert. Dadurch besitzt diese Interviewvariante die Möglichkeit das bereits bestehende Vorwissen zur untersuchenden Problematik zu ergänzen oder gar zu korrigieren. Die Interviewführung besteht aus einem zentralen Zuhörprozess mit Nachfragen, dabei gilt auch hier das Prinzip, dass zunächst immanent nachgefragt wird und später exmanent.

Die Interviewführung kennzeichnet sich durch bestimmte Kommunikationsstrategien:

  • Vorformulierte Einstiegsfrage, die das Problem zentriert und zugleich komplett offen gestellt wird.

Beispiel: „Sie sind Sozialarbeiterin in der Kinder- und Jugendhilfe. Wie sind Sie dazu gekommen? Erzählen Sie doch mal.“

  • Allgemeine Sondierungen im Gesprächsverlauf (immanentes Nachfragen) dienen der Aufdeckung der subjektiven Problemsicht.

Beispiel: „Sie erwähnten, dass eine Ökonomisierung in den Arbeitsabläufen immer deutlicher wird. Was genau verstehen sie darunter?“

  • Ad-Hoc-Fragen (exmanentes Nachfragen) sollen bestimmte Themenbereiche zur Vergleichbarkeit abdecken, sie stammen aus dem Leitfaden und werden dann erfragt, wenn sie zuvor noch nicht vom Befragten selbst genannt wurden.

Beispiel: „Wie könnten sich die Arbeitsabläufe in der Kinder- und Jugendhilfe in den nächsten 10 Jahren entwickeln?“

  • Spezifische Sondierungen sollen immanente und exmanente Nachfragen detailieren, auch Unklarheiten bei erwähnten Begrifflichkeiten könnten hier genauer erfragt werden.

Beispiel: „Sie nannten den Begriff „Crosswork“. Was verstehen Sie darunter genau?“

  • Darüber hinaus wird hier auch mit Gesprächstechniken aus der Psychotherapie gearbeitet, um den Befragten zur Selbstreflexion anzuregen. Üblich wäre hier zum Beispiel eine Zurückspiegelung von Äußerungen, oder eine Konfrontation (leichte Provokation). Bei der Konfrontation sollte aber ein gewisses Vertauensverhältnis aufgebaut worden sein, sonst kann die Erzählperson schnell in eine Art Rechtfertigung abweichen.

Wann ist ein problemzentriertes Interview die richtige Wahl?

Das PZI ist die richtige Wahl, wenn die Fragestellung nicht rein explorativ ist, somit gewisses Vorwissen oder gewisse Vorannahmen zum untersuchenden Phänomen bestehen. Dieses Vorwissen wird anhand subjektiver Aussagen vertieft und ergänzt. Besonders eignet sich diese Erhebungsmethode bei Vorstudien, um ein Forschungsfeld aufzubrechen. Aufgrund der Leitfragen-Vorgehensweise erleichtert diese Interviewvariante mögliche anschließende Vergleiche.

Zusammenfassung

Literaturhinweise

Kurz Andrea, Stockhammer Constanze, Fuchs Susanne, Meinhard Dieter (2007): Das problemzentrierte Interview. In: Buber R., Holzmüller H.H. (eds) Qualitative Marktforschung. Wiesbaden: Gabler.

Witzel, Andreas (1985): Das problemzentrierte Interview. In: Jüttemann, Gerd(Ed.): Qualitative Forschung in der Psychologie : Grundfragen, Verfahrensweisen, Anwendungsfelder. Weinheim: Beltz.

Witzel, Andreas (2000): Das problemzentrierte Interview. 25 Absätze. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 1(1).

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Autor*innen dieses Artikels

Yvonne Kohlbrunn (Methodenzentrum)

Diese Seite wurde zuletzt am 18.03.2024 aktualisiert.