Qualitative Interviewforschung

Es gibt verschiedene Arten von Daten, mit denen in der sog. qualitativen Forschung gearbeitet wird. Neben z.B. Protokollen aus teilnehmenden Beobachtungen sind verbale Daten eine wichtige Quelle. Zu den verbalen Daten gehören solche, die durch qualitative Interviews gewonnen werden. Interviews werden in vielen Bereichen der qualitativen Sozialforschung verwendet. Dabei werden sie auch als nicht-standardisierte, teil-standardisierte oder offene Interviews bezeichnet. Mit qualitativen Interviews sollen z.B. solche Daten erhoben werden, welche die subjektiven Sichtweisen auf bestimmte Themen oder die eigene Biographie der interviewten Personen wiedergeben. Sie unterscheiden sich dabei von anderen Arten von Interviews oder Befragungen.

So sind bei quantitativen Interviews bzw. Befragungen die Antwortmöglichkeiten bereits vorgegeben und das Antwortverhalten somit in starker Form vorstrukturiert. Qualitative Interviews unterscheiden sich auch von Interviews, die wir aus dem Alltag kennen, wie beispielsweise journalistischen Interviews. Journalistische Interviews verfolgen ein anderes Erkenntnisinteresse. So sind sie etwa an der Haltung bestimmter Personen zu Sachthemen interessiert oder sind Teil einer investigativen Recherche. Qualitative, wissenschaftliche Interviews werden außerdem im Nachgang vollständig und wortwörtlich transkribiert. Dieser Schritt bereitet auf die nachfolgende Analyse mit bestimmten qualitativen Auswertungsmethoden vor.

Ziel der Methode

Ziel qualitativer Interviewforschung ist es, Interviewdaten zu erheben, welche Interpretationsmöglichkeiten anbieten. Dafür muss den Erzählpersonen die Möglichkeit gegeben werden, dass sie ebenjenes erzählen können, was für sie von Bedeutung und relevant ist. Deshalb sprechen wir davon, dass Erzählpersonen in Interviews ihre eigenen Relevanzstrukturen zum Ausdruck bringen. Das Gesagte wird dabei als Rekonstruktion von Erlebnissen, Erfahrungen und Gefühlen gesehen. Diese Rekonstruktion wird im Nachgang der Erhebung durch qualitative Auswertung nachvollzogen. Bei der Analyse wird beispielsweise untersucht, wie die Erzählpersonen ihre Erlebnisse und Erfahrungen darstellen und welche Bedeutung den Erzählungen deshalb zukommt.

Dabei muss beachtet werden, dass verschiedene Interviewformen existieren. Unterschieden wird beispielsweise zwischen offenen, narrativen Interviews und Interviews, die durch einen Leitfaden strukturiert sind. Diese unterscheiden sich zwar voneinander, sind sich aber darin einig, dass sie alle den Anspruch des Kriteriums der Offenheit umsetzen.

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Die Offenheit der Fragen sichert zu, dass die Erzählperson selbst entscheiden kann, was sie erzählt und wie sie dies erzählt. Offenheit ist ein zentrales Prinzip qualitativer Sozialforschung. Diese ermöglicht im Forschungsprozess, dass der "Forschungsgegenstand" selbst das Forschungsprojekt bestimmt und Annahmen den Forschungsprozess nicht überlagern.

Offene Fragen sind solche, bei dem kein Antwortschema vorgegeben ist:

  • Ein Beispiel für eine offene Frage ist: "Wie nehmen Sie den Klimawandel wahr?" Die Erzählperson hat die Möglichkeit selbst zu entscheiden, was sie erzählen möchte und wie sie die Erzählung strukturiert.
  • Ein Beispiel für eine geschlossene Frage wäre hingegen: "Haben Sie Angst vor den Folgen des Klimawandels?" Bei dieser Frage sind die Antwortmöglichkeiten "ja" oder "nein" durch die Art der Frage bereits vorgegeben. Zwar gibt es für die Erzählperson hier auch die Möglichkeit, eine Begründung für die Antwort zu geben, jedoch strukturiert die Form der Frage die Antwort bereits vor.

Durch die Offenheit im Interview wird der Erzählperson somit genug Raum gegeben, ihre eigenen Relevanzstrukturen darstellen zu können. Je nachdem, welche Form von Interviews gewählt wird, unterscheiden sich auch die jeweiligen Ziele von Interviews. Zu den unterschiedlichen Formen qualitativer Interviews erfahren Sie mehr in den nachfolgenden Artikeln.

Wann eignen sich qualitative Interviews und wann nicht?

Interviews eignen sich als Methode, wenn die Forschungsfrage sich auf Phänomene bezieht, die sich versprachlichen lassen. Qualitative Interviews eignen sich als Erhebungsmethode für ganz unterschiedliche Fragestellungen. Sie können für die Erforschung von subjektivem Sinn, subjektiven Konzepten und Theorien, von Alltagstheorien, für die Erforschung von Prozessen, für narrative Bewältigungen oder biographische Fragestellungen sowie für Fragen nach Positionierungen eingesetzt werden.

Interviews eignen sich nicht für Fragestellungen, die eher an Handlungen interessiert sind. Wenn beispielsweise Begrüßungsrituale untersucht werden sollen, eignen sich hierfür besser ethnographische Methoden und eine teilnehmende Beobachtung. Wenn Fragestellungen auf kollektive Orientierungsmuster abzielen, werden qualitative Interviews gewöhnlich ebenfalls nicht eingesetzt. Hier werden vornehmlich Gruppendiskussionsverfahren bevorzugt.

Geeignete Forschungsfragen

Interview als spezielle Kommunikationssituation

Es ist zu beachten, dass es sich bei jeder Art von Interview um eine spezielle Kommunikationssituation handelt:

„Jedes Interview ist Kommunikation, und zwar wechselseitige, und daher auch ein Prozess. Jedes Interview ist Interaktion und Kooperation. Das ‚Interview‘ als fertiger Text ist gerade das Produkt des ‚Interview‘ als gemeinsamem Interaktionsprozess, von Erzählperson und interviewender Person gemeinsam erzeugt – das gilt für jeden Interviewtypus.“ (Helfferich, 2011, S. 12)

Jedes Interview ist deshalb einzigartig und kann nicht in der selben Form reproduziert werden. Nehmen wir an, eine andere Person würde die Erzählperson interviewen: Die Erzählperson würde ihre Erzählung vermutlich anders strukturieren und auch auf andere Sachverhalte eingehen. Wenn wir uns in die Erzählperson hineinversetzen, wird dies schnell nachvollziehbar. Beispielsweise setzen wir je nachdem, wer einen interviewt, unterschiedliche Erfahrungshorizonte voraus und richten danach unsere Erzählung aus. Diese Einzigartigkeit wird aber nicht als Nachteil im qualitativen Forschungsprozess begriffen. Die Beeinflussung des Interviews durch den*die Interviewer*in wird nämlich nicht als Störfaktor angesehen, sondern das jeweilige Interview wird hingegen als das begriffen was es ist: Ein einzigartiges Produkt entstanden in einer speziellen Kommunikationssituation zwischen Erzählperson und Interviewer*in.

Wie können Erzählpersonen gewonnen werden?

Es gibt verschiedene Wege, wie man Personen für die eigene Forschung gewinnen kann. Bevor aber die eigentliche Kontaktaufnahme beginnt, sollte eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche Fälle bzw. Personen für die eigene Forschungsfrage relevant sind. Die Auswahl von Fällen nennt sich Sampling. In der qualitativen Forschung gibt es unterschiedliche Samplingstrategien.

Zusammenfassung

Literaturhinweise

Helfferich, Cornelia (2011): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. 4. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Przyborski, Aglaja/Wohlrab Saar, Monika (2014): Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. 4., erweiterte Auflage, München: Oldenbourg.

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Autor*innen dieses Artikels

Carla Scheytt (Methodenzentrum)

Diese Seite wurde zuletzt am 16.02.2021 aktualisiert.