Grounded Theory Methodology - Der Auswertungsprozess

Die Grounded Theory besitzt den Anspruch, ein noch unbekanntes Phänomen zu erfassen und zu erklären. Dadurch wird bereits deutlich, dass sich eine Auswertung insbesondere dann eignet, wenn die forschungsleitende Fragestellung sehr offen und explorativ ist. Bei der Grounded Theory handelt es sich um ein Forschungsparadigma: Grounded Theory Methodology [320], das das Ziel verfolgt eine gegenstandsverankerte Theorie aus den erhobenen Daten zu entwickeln. Das Vorgehen zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass kodierend vorgegangen wird und zum anderen einer zirkulären Logik folgt. Das heißt, der Ablauf ist nicht linear, sondern die Phasen der Datenerhebung und -auswertung finden parallel statt bzw. wechseln sich ab.

Prinzipien der Datenauswertung

Es gibt drei Durchführungsprinzipien, die beim Auswertungsprozess elementar sind:

Prozess der Datenauswertung

Der zirkuläre Prozess der Datenauswertung ist der Kern der Grounded Theory Methodologie, die darin das Ziel verfolgt, eine gegenstandsverankerten Theorie zu entwickeln. Durch die enge Kopplung von Datenerhebung und -auswertung soll ausgehend vom untersuchen Phänomen zunehmend in die Theoriesprache abstrahiert werden. In Anlehnung an die Grafik aus Przyborksi und Wohlrab-Sahr 2014 (S. 209) kann dieser Prozess wie folgt illustriert werden:

Theoretisches Kodieren - Kernstück der Auswertung

"Kodieren stellt die Vorgehensweise dar, durch die die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert und auf neue Art zusammengesetzt werden. Es ist der zentrale Prozess, durch den aus den Daten Theorien entwickelt werden."

(Strauss und Corbin 1996, S. 39)

Beim theorieorientierten Kodieren trifft man auf die Begrifflichkeiten Kodierung, Codes, Kategorien und Konzepte:

  • Kodierung bezeichnet die Zerlegung der Daten in Sinneinheiten.
  • Codes sind Sinneinheiten, die durch einzelne Worte oder Stichpunkte benannt werden, oft zunächst auch nah am Gesagten (invivo).
  • Kategorien sind konzeptualisierte Codes, in denen die Wechselbeziehungen unterschiedlicher Codes sichtbar werden.
  • Konzepte sind Konstrukte, die (vom Forschenden) aus den Daten generiert werden.

Das Kodieren gliedert sich in drei zentrale Kodierphasen:

Dreistufiger Kodierprozess in der Praxis

Wie eine Auswertung in der Praxis aussehen kann, wird nun exemplarisch einmal durchgespielt.

Wichtiger zusätzlicher Hinweis, das exemplarische Vorgehen ist ein Vorschlag von uns, der uns praktikabel erscheint. Es gibt nicht den "einen" richtigen Weg im Auswertungsprozess.

Welches Datenmaterial ist geeignet?

"All is data" ist das zentrale Grundprinzip nach Glaser und Strauss. Das bedeutet, dass viele verschiedene Datentypen mit dem theoriegenerierenden Kodieren im Sinne der Grounded Theory ausgewertet werden können. Aber auch audiovisuelle Datenformate sind mit dem Auswertungsprozess der Grounded Theory vereinbar, sofern man sie kodierfähig aufbereiten kann.

Wann ist die Auswertung mit der Grounded Theory die richtige Wahl?

Die Grounded Theory ist die richtige Wahl, wenn man ein (teilweise noch unbekanntes) Phänomen (Erkenntnisinteresse) explorativ erfassen und erklären möchte. Das zentrale Ziel der Grounded Theory besteht darin, aus dem empirischen Datenmaterial eine Theorie zu generieren oder eine bereits bestehende Theorie zu erweitern (gegenstandsverankerte Theoriebildung). Die Grounded Theory ist nicht die richtige Wahl, wenn man eine bestehende Theorie linear überprüfen möchte oder wenn man bereits sehr feste Konstrukte und Vorannahmen über das zu erforschende Feld besitzt.

Tipps zum Einstieg

Gerade wenn man in der Forschung mit der Grounded Theory noch unerfahren ist, können einem einige Hinweise dabei helfen, einen guten Einstieg zu finden und Missverständnisse zu klären.

  1. Codes sind keine reinen Zusammenfassungen eines Textes. Es soll beim offenen Kodieren bereits vom Einzelfall abstrahiert werden. Strauss spricht davon, die Daten "aufzubrechen".
  2. Anfänger*innen versuchen oft, bereits zu Beginn der Auswertung eine Art "wahre Bedeutung" des Textes zu ergründen. In dieser frühen Phase ist das allerdings noch nicht möglich und die entstehenden Konzepte müssen als hypothetisch verstanden werden. Sie werden erst im weiteren Verlauf der Arbeit bestätigt oder widerlegt.
  3. Es kann sinnvoll sein, beim Kodieren den Austausch mit anderen zu suchen, um das Ideenspektrum bezüglich verschiedener Interpretationen auszuweiten. Gerade wenn bei einer Abschlussarbeit mit der Grounded Theory geforscht wird, kann es also hilfreich sein, sich mit Kommiliton*innen auszutauschen, die die gleiche Methode verwenden.

Zusammenfassung

Literaturhinweise

Glaser, Barney G.; Strauss, Anselm L. (2010): Grounded theory. Strategien qualitativer Forschung. Bern: Huber.

Przyborski, Aglaja; Wohlrab-Sahr, Monika (2014): Qualitative Sozialforschung. München: DE GRUYTER.

Strauss, Anselm & Corbin, Juliet (1996). Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz.

Strauss, Anselm; Corbin, Juliet (2010): Grounded theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Unveränd. Weinheim: Beltz.

Strübing, Jörg (2014): Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung. Wiesbaden: Springer VS.

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Autor*innen dieses Artikels

Julius Kötter (Methodenzentrum), Yvonne Kohlbrunn (Methodenzentrum)

Diese Seite wurde zuletzt am 17.10.2022 aktualisiert.