Qualitative Auswertungsmethoden

Was zeichnet qualitative Auswertungsmethoden aus?

Der qualitative Auswertungsprozess wird ganz im Sinne der qualitativen Logik vollzogen: Individuelle, aber auch kollektive Bedeutungen und Handlungsmotive dienen dazu ein (eventuell noch unbekanntes) Forschungsfeld zu ergünden. Dadurch wird der Aspekt der Theoriegenerierung sehr stark, wenngleich es auch Auswertungsverfahren gibt, die sich einer deduktiven Theorieüberprüfung bzw. Theorieergänzung verschreiben.

Allen gemein ist ein Auswertungsprozess der folgende Punkte umfasst:

Die Subjektbezogenheit bezieht sich auf den Untersuchungsgegenstand. Dieser kann sich sowohl auf den Einzelfall beziehen, aber auch auf Gruppen und/oder Institutionen. Je nachdem auf welcher Einheit man was beforschen möchte.

Die Alltagsorientierung befasst sich mit dem Kontext des Subjekts. Welches Setting des Subjekts spielt für die Forschungsfrage eine Rolle (Arbeitsalltag, Schule, häuslicher Kontext)? Werden biographische Hintergründe wichtig für die Analyse? Oder sozioökonomische Hintergründe? All die diversen Parameter, die den Kontext eines Subjekts beschreiben können.

Das Subjekt sollte in Gänze betrachtet werden. Gibt es beispielsweise bestimmte Interessen, Fähigkeiten, Ansichten oder Einstellungen, die mein Subjekt beeinflussen/prägen?

Die Kommunikation bei qualitativen Auswertungsverfahren spielt eine konstitutive, aber auf reflexionsbedürftige Rolle, die den Verstehensprozess zwischen Forschenden und Beforschten fördert.

Um das (unbekannte) Phänomen beschreiben zu können, ist eine größtmögliche Offenheit dem Feld gegenüber zentral, aber auch eine Methodenkontrolle (z.B. durch Memos oder einem festgelegten Vorgehen aus dem Forschungsdesign).

Die größtmögliche Offenheit ist eines der zentralsten Ziele zur qualitativen Theoriegenerierung, dabei wird vor allem ein induktives Vorgehen angestrebt mit einer offenen Fragestellung. Weniger sieht man hier vorab festgelegte Hypothesen, die entweder bestätigt oder widerlegt werden können.

Ein weiteres wichtiges Ziel der qualitativen Auswertung ist das Verstehen der subjektiven Sinnzusammenhänge und Bedeutungen, die durch den jeweiligen Auswertungsprozess geschieht.

Zielsetzung qualitativer Auswertungsverfahren

Die allgemeine Zielsetzung qualitativer Auswertung besteht darin (unbekannte) Phänomene zu ergründen, um daraus Theorien zu generieren. Allgemein basiert es darauf soziale Lebenswelten "von innen heraus" verstehen und beschreiben zu können. Dennoch gibt es auch Verfahren, die bestehende Vorannahmen deduktiv im Datenmaterial finden können und so theorieergänzend eingesetzt werden können.

Welche Auswertungsmethode passt zu meinen Daten?

Die Auswertungsverfahren sind sehr vielfältig und hängen stark davon ab, was man genau erforschen möchte. Welche Auswertungsmethoden zu meinen Daten passen, ist dadurch nicht pauschal zu beantworten. Vielmehr ist es (ähnlich wie bei der Wahl der Qualitative Erhebungsmethoden [455]) das Erkenntnisinteresse und die Fragestellung, die die Wahl der Auswertungsmethoden bestimmen. Somit findet nicht nur ein Auswahlprozess statt, sondern auch ein Ausschlussprinzip.

Man stellt sich die allgemeinen Fragen:

  • Wie kann meine Fragestellung beantwortet werden und wodurch?
  • Welche Methoden eignen sich dafür, um meine Fragestellung zu beantworten?

Diese Kombination aus Auswahl und Ausschluss wird im Forschungsdesign begründet und festgehalten.

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Dadurch wird bereits deutlich, dass im Bereich der qualitativen Auswertung eine Vielzahl an Methoden zu finden sind, die die bestimmten Forschungsinteressen abbilden können.

In vielen Lehrbüchern wird die Vielzahl an Methoden in diverse Gruppen gebündelt. Dies dient der Einordnung der unterschiedlichen Methoden und kann die wichtige Fragestellungs-Methoden-Passung erleichtern.

So gibt es beispielsweise Gruppen, die sich eher der Methodologie dahinter widmen:

Inhaltsanalytische Verfahren widmen dem systematischen Auswerten von Inhalten. Oft stellt es ein kodierendes Verfahren dar, welches das Datenmaterial regelgeleitet aufschlüsselt. Je nachdem welcher Inhaltsschwerpunkt erfasst werden soll, gibt es diverse Verfahren und Unterformen, die eine passende Auswertungsvariante fokussieren. Zu nennen wären hier z.B. die Verfahren nach Mayring oder Kuckartz, mit diversen Unterformen je nach Erkenntnisinteresse. Aber auch die Verfahren nach Gläser und Laudel oder Meuser und Nagel, welche speziell für Expert*Inneninterviews entwickelt wurden.

Rekonstruktive Verfahren befassen sich mit der Interpretation der sozialen Wirklichkeit. Dabei werden die individuellen Relevanzstrukturen der befragten Personen wichtig. Oft werden diese Methoden bei fallspezifischen Analysen verwendet, aber auch in der Biographieforschung sind sie beliebt. Häufig verwendete Methoden, die in diese Kategorie fallen, sind z.B. die dokumentarische Methode oder die objektive Hermeneutik, aber auch die Narrationsanalyse und die Konversationsanalyse fallen in dieses Schema.

Hermeneutische Verfahren beschäftigen sich mit den latenten Bedeutungsstrukturen hinter dem Gesagten/Geschriebenen. Hier ist das Verstehen sozialer Phänomene zentral. Das Vorgehen ist sehr interpretativ und eher sequenzanalytisch. Hermeneutische Verfahren sind sowohl in der Sozialwissenschaft verankert, als auch in der Philologie, Medienwissenschaft und Literaturwissenschaft. Oft genutzte hermeneutische Verfahren sind die dokumentarische Methode, die objektive Hermeneutik, die Tiefenhermeneutik, aber auch z.B. die relationale Hermeneutik.

Explorative Verfahren widmen sich überwiegend der Theoriegenerierung und sind dann besonders geeignet, wenn das Feld oder das interessierende Phänomen noch weitestgehend unerforscht ist. Diese Verfahren zeichnen sich durch ein besonders offenes Vorgehen auf, mit wenigen Vorannahmen. Zu nennen wären hier zum Beispiel die Auswertung mit der Grounded Theory, aber auch induktive Qualitative Inhaltsanalysen finden hier einen Platz.

Diskursanalysen beschäftigen sich mit der Analyse von übersituativen und überindividuellen Praktiken der Sinn- bzw. Wissensproduktionen, also den Diskursen. Gegenwartsphänomene werden erfasst und erschlossen. Der Forschungsgegenstand können sowohl gesprochener Text, als auch Dokumente sein. Beliebt ist diese Methode sowohl in den Philologien, Medienwissenschaften und Literaturwissenschaften, aber auch in den Sozialwissenschaften findet es immer mehr Anklang. Auch gibt es diverse Ausprägungen und Traditionen, die sich sowohl im Vorgehen, als auch in der Zielsetzung unterscheiden. Besonders beliebt ist z.B. die wissenssoziologische Diskursanalyse nach Keller und die Kritische Diskursanalyse nach Jäger.

Andere Kategorien schlüsseln das Methodenspektrum eher durch das praktische Vorgehen auf, z.B. kodierend oder sequenzanalytisch.

Dabei wird sichtbar, dass die Auswertungsmethoden nicht komplett trennscharf eingeordnet werden können. Denn es gibt Überschneidungen zwischen den Kategorien, die unterschiedlichen Methoden können somit auch mehrere Charakteristika beinhalten.

Was erwartet Sie in den nachfolgenden Artikeln?

Im folgenden Kapitel wird das Verfahren der Qualitativen Inhaltsanalyse vorgestellt. Ein Verfahren, dass sowohl sehr induktiv und theoriegenrierend die Daten auswerten kann, aber auch deduktiv und theoriegeergänzend. Anwendbar ist dieses Verfahren mit diversen Erhebungsformen, so passt es sowohl zu diversen Interviewformen und Beobachtungen, aber auch Dokumente lassen sich mit diesem Verfahren gut aufschlüsseln. Neben einer Vielzahl an Spezialisierungen, die es in der Qualitativen Inhaltsanalyse mittlerweile gibt, wird hier zunächst die Variante nach Kuckartz intensiver vorgestellt. Es werden in naher Zukunft aber auch Artikel zum Verfahren nach Mayring folgen, sowie gezieltere Verfahren, die sich mit der Auswertung von ExpertInneninterviews auseinander setzen.

Literaturhinweise

Bohnsack, Ralf (1999): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in Methodologie und Praxis qualitativer Forschung. Wiesbaden: Springer VS

Flick, Uwe; Kardorff, Ernst von; Steinke, Ines (2008): Was ist qualitative Forschung? Einleitung und Überblick. In: Uwe Flick, Ernst von Kardorff und Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 6., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Reinbek: Rowohlt, S. 12-29.

Gläser-Zikuda, Michaela (2011): Qualitative Auswertungsverfahren. In: Reinders Heinz, Ditton Hartmut, Gräsel Cornelia, Gniewosz Burghard (eds) Empirische Bildungsforschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 109-119.

Heckmann, Friedrich (1992): Interpretationsregeln zur Auswertung qualitativer Interviews und sozialwissenschaftlich relevanter "Texte": Anwendungen der Hermeneutik für die empirische Sozialforschung, in Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen (Hrsg): Analyse verbaler Daten: über den Umgang mit qualitativen Daten, Opladen: Westdt. Verl.,.S. 142-167

Knassmüller Monika, Vettori Oliver (2007): Hermeneutische Verfahren. In: Buber Renate, Holzmüller Hartmut (eds) Qualitative Marktforschung. Gablerr, Wiesbaden: Springer VS, S. 299-317.

Kuckartz, Udo (2018): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.

Mayring, Philipp (2010): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.

Przyborski, Aglaja; Wohlrab-Sahr, Monika (2019): Forschungsdesigns für die qualitative Sozialforschung, in: Baur, Nina; Blasius, Jörg (Hrsg): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 105-123.

Przyborski, Aglaja; Wohlrab-Sahr, Monika (2014): Qualitative Sozialforschung. 4. erweiterte Auflage. München: De Gruyter Oldenbourg

Strauß, Anselm; Corbin, Juliet (1996): Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim und Basel: Beltz Juventa

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Autor*innen dieses Artikels

Yvonne Kohlbrunn (Methodenzentrum)

Diese Seite wurde zuletzt am 25.10.2022 aktualisiert.