Empirische Forschungsdesigns - Quantitative und Qualitative Perspektive

Einleitung: Empirische Forschungsdesigns

Empirische Forschung ist vielfältig. Forschende verwenden ganz unterschiedliche Vorgehensweisen, um Ihre Forschungsfragen empirisch gestützt zu beantworten. Die häufig verwendete, dichotomisierende Unterscheidung nach "qualitativen" und "quantitativen" Forschungsdesigns ist dabei nur eine erste – und meist viel zu grobe – Einteilung.

In diesem Workshop wollen wir einen Überblick über verschiedene Forschungsdesigns geben und diskutieren, wie die Wahl eines bestimmten Designs die weitere Forschung – und insbesondere die erzielbaren Antworten auf die jeweiligen Foschungsfragen – beeinflusst. Dazu werden wir genauso auf die forschungspraktischen Details der verschiedenen Methoden eingehen wie auf die jeweils dahinterstehenden epistomologischen und ontologischen Überzeugungen ("Paradigmen"), aus denen bestimmte Vorgehens- und Sichtweisen der verschiedenen forschungspraktischen Ansätze resultieren. Im Präsenz-Teil des Workshops haben wir dann Gelegenheit, anhand dieser Linien die Anwendbarkeit verschiedener Forschungsdesigns auf individuelle Forschungsfragen zu diskutieren.

Ein wichtiger Ausgangspunkt wird dabei sein, dass "qualitative" und "quantitative" Forschung nicht als disjunktes Gegensatzpaar zu verstehen sind und jeweils nur für entsprechend gegensätzliche Forschungsfragen zur Anwendung gebracht werden könnten. Insbesondere dürfen wir nicht den Fehler machen, ausschließlich die Art der verwendeten Daten für die Unterscheidung in qualitative und quantitative Forschung heranzuziehen. Anstelle einer dichotomisierenden Darstellung wollen wir hier unterschiedliche Blickwinkel auf Forschungsprozesse anbieten:

  • Welches Ziel wird mit einer Forschung verfolgt? Wo liegt das Erkenntnisinteresse?
  • Wie sieht das Zusammenspiel zwischen Empirie und Theorie aus?
  • Auf welches epistomologische/erkenntnistheoretische (und ggf. ontologische) Paradigma stützt sich die Forschung?

Mit diesem Ansatz möchten wir dazu einladen, die Stärken und Schwächen der verschiedenen Ansätze für konkrete Forschungsfragen offen auszuloten und so zu einer gut begründeten und möglichst nicht "ideologisch" vorgeprägten Wahl der jeweils bestmöglichen Untersuchungsform zu kommen.

Grundlegende Gemeinsamkeiten beim empirischen Forschen

Beginnen wir also bei den Gemeinsamkeiten: Was haben alle empirischen Forschungsprojekte notwendigerweise gemein?

  • Jede empirische Forschung nimmt ihren Ausgangspunkt in einer Forschungsfrage, die immer in irgendeiner Form an einen aktuellen Forschungsstand anknüpft.
  • Die Forschungsfrage nimmt dabei immer Bezug auf eine erfahrbare Realität und kann entsprechend nur mit empirischen Daten, also Daten über die (soziale) Realität, beantwortet werden.
  • Die Erhebung der benötigten Daten und deren Analyse erfolgt methodologisch kontrolliert: Welche methodischen Vorgehensweisen als state of the art heranzuziehen sind folgt methodologischen Überlegungen, die innerhalb der scientific community ausgehandelt/entwickelt werden.

Zum Begriff "Forschungsdesign"

In einer engen, quantitativ geprägten Verwendung ist der Begriff "Forschungsdesign" annähernd synonym mit dem "Versuchsplan": Ein Forschungsdesign legt fest, welche Indikatoren, wann, ggf. wie oft, und an welchen Untersuchungsobjekten oder Versuchspersonen erfasst werden sollen.

Wir wollen den Begriff hier in einer weiteren Bedeutung verwenden, die etwa De Vaus (2009, p.9) so umschreibt:

„The function of a research design is to ensure that the evidence obtained enables us to answer the initial question as unambiguously as possible. Obtaining relevant evidence entails specifying the type of evidence needed to answer the research question, to test a theory, to evaluate a programme or to accumately describe some phenomenon. In other words, when designing research we need to ask: given this research question (or theory), what type of evidence is needed to answer the question (or test the theory) in a convincing way?“

Ein Forschungsdesign beschreibt also etwas anderes als die "Wahl einer Methode", und geht insbesondere weit über die Wahl einer "Datenerhebungsmethode heraus. In einer quantitativen Studie, für die auf bestimmte Weise Messwerte für einen bestimmten Indikator (an bestimmten Untersuchungsobjekten zu bestimmten Zeitpunkten...) erhoben werden, gehört in dieser Begriffsdefinition durchaus die Auswahl bestimmter Analysemethoden zur Definition eines Forschungsdesigns, denn diese entscheidet mitunter wesentlich darüber, welche "Art von Evidenz" zur Beantwortung der Forschungsfrage zur Verfügung steht.

Ein solches weites Begriffsverständnis entspricht dann auch besser der Verwendung in der Diskussion um qualitative Methoden, bei denen Datenerhebung und -analyse grundsätzlich enger miteinander verschränkt gedacht werden. Entsprechend verwendet etwa Mayring (2020) den Begriff Forschungsdesign synonym mit der Anlage des (gesamten) Forschungsprozesses.

Perspektiven auf Forschungsdesigns

Empirische und Nicht-Empirische Forschung

Nicht jede Forschung ist empirisch. Eine erste Unterscheidung kann zwischen normativer und positiver Forschung getroffen werden. Normative Forschung bezieht sich auf Werturteile: Was sollte sein?, während positive Forschung sich mit Fragen danach befasst, was ist. Normative Fragestellungen finden sich etwa in der Ethik oder im Recht. Zur Beantwortung solcher Fragen ist ein gänzlich anderes Repertoire von Untersuchungsansätzen notwendig als die hier besprochenen empirischen Methoden.

Doch auch innerhalb der positiven Wissenschaften lassen sich nicht-empirische Forschungsfragen stellen (und beantworten): Theoretische Fragestellungen sind ausschließlich auf der Ebene von Theorien zu beantworten, ohne dass ein Rückgriff auf Empirie, ein "Befragen" realweltlicher Erfahrung, notwendig ist.

Theoretische Forschung kann dabei ganz frei von "empirischem Input" sein, wie etwa in der Mathematik, wo Aussagen über Beziehungen zwischen z.B. numerischen Elementen mit bestimmten Eigenschaften untersucht werden. Solche Fragestellungen können durchaus eng mit unserer realweltlichen Wirklichkeit verbunden sein, aber dennoch keine Empirie zur Beantwortung benötigen, z.B. wenn Auswirkungen unterschiedlicher Umrechnungsverfahren von Wahlergebnissen in parlamentarische Sitzverteilungen untersucht werden.

Theoretische Forschung kann sich daneben auch auf empirische Ergebnisse stützen und diese als Ausgangspunkt für Theorieentwicklung nehmen, aber eben ohne eigenständige empirische Untersuchungen heranzuziehen. Beispielsweise könnte eine theoretisch angelegte Arbeit zwei empirisch gut gesicherte Erkenntnisse zum Ausgang nehmen, die auf dem aktuellen Stand der Forschung mit keiner der zur Verfügung stehenden Theorien gemeinsam erklärbar sind, und versuchen eine (vereinigende) Theorie zu entwickeln, unter der das Auftreten beider Beobachtungen erklärbar wird. Eine solche Forschung nimmt empirische Ergebnisse durchaus zur Kenntnis. Die Forschung selbst bleibt, wie im Fall einer mathematischen Fragestellung, aber ausschließlich auf der theoretischen Ebene und verwendet entsprechende Werkzeuge (etwa Aussagenlogik).

Empirische Forschung ist demgegenüber also alle Forschung, die zur Beantwortung ihrer Fragen empirische Beobachtungen (sinnliche Erfahrungen) heranzieht. Diese Beobachtungen – "die Empirie", "die Daten" – können vielfältige Formen annehmen, von Notizen über die Beobachtung eines einzelnen Falls bis zu komplexen Sammlungen numerischer Messergebnisse in relationalen Datenbanken.

Der Politologie Raymond Wolfinger hat hierfür den Aphorismus: "The plural of anecdote is data" geprägt (http://blog.danwin.com/don-t-forget-the-plural-of-anecdote-is-data/). Allerdings: Damit eine ideosynkratische Beobachtung (eine "Anekdote") tatsächlich zu einem empirischen "Datum" werden kann ist in jedem Fall ein methodisch kontrolliertes Vorgehen bei der Beobachtung zwingend notwendig. Forschende wenden in ihrer scientific community entwickelte und "kodifizierte" Verfahren an, um Daten zu erheben.

Ziele empirischer Forschung

Bis hierher haben wir empirisches Forschen als das Unterfangen charakteristiert, eine Forschungsfrage methodisch kontrolliert zu beantworten. Eine wesentliche Dimension zur Kategorisierung empirischer Forschung folgt aus der jeweiligen Art eben dieser Forschungsfrage: Welches Ziel wird mit der Forschung verfolgt?

Beschreibung/Deskription

Deskription als Forschungsziel klingt zunächst vermeintlich "simpel", kann aber aus validen Fragestellungen folgen. Wo über einen neuen oder zeitlichen Veränderungen unterworfenen Forschungsgegenstand nicht viel bekannt ist, muss zunächst mit guten Beschreibungen erarbeitet werden, wie der Gegenstand beschaffen ist, um weiterführende Forschungsfragen begründen zu können. Das Forschungsziel kann von der umfassenden Beschreibung eines Einzelfalls bis zur Beschreibung von Merkmalsverteilungen in großen Populationen (etwa mit Mitteln der Inferenzstatistik) reichen.

Ein wesentliches Ziel im Rahmen von deskriptiven Studien liegt oft darin, "Typisierungen", "Klassen" oder "Kategorien" zu entdecken, mit denen sich empirische Beobachtungen/Untersuchungseinheiten klassifizieren lassen. Solche Forschungsfragen zielen darauf, worin eigentlich die wesentlichen, "typischen" Unterschiede zwischen den Untersuchungseinheiten liegen.

Eine gute Beschreibung leistet dabei zudem mehr als ein bloßes (univariates) Auszählen von beobachteten Merkmalswerten, sondern kann durchaus auch für einen Fall oder eine Population charakteristische Zusammenhänge herausarbeiten, also danach fragen, welche Kombinationen von Merkmalsausprägungen (häufig) gemeinsam auftreten. Ein Beispiel für eine solche als Beschreibung einzuordnende Beobachtung aus der vergleichenden Politikwissenschaft: "Demokratien neigen nicht dazu, miteinander Krieg zu führen". Eine solche Zusammenhangs-Beschreibung ist selbst noch keine Erklärung (s.u.) – aus der Beobachtung folgt nicht, dass im Merkmal Demokratie vs. keine Demokratie die Erklärung läge, wie es zu Kriegen kommt. Viel eher ist dieser Zusammenhang selbst erklärungsbedürftig. Erst durch die Beschreibung des Zusammenhangs kommen wir in die Lage, nach einer Erklärung dafür zu fragen.

Exploration/Entdecken

Exploration ist als Forschungsziel stark mit der Beschreibung verbunden, denn hierfür sind grundsätzlich die gleichen methodischen Techniken anzuwenden. Wir würden eine Forschungsfrage eher als "explorativ" bezeichnen, wenn sie sich einem (gänzlich) neuen Forschungsgegenstand widmet. Der Fokus liegt hier (stärker) auf dem ergebnisoffenen Entdecken von Besonderheiten eines untersuchten Phänomens. Zielsetzungen könnten sein:

  • Was sind relevante Kategorien zur Beschreibung des Phänomens?
  • Welche Merkmale/Merkmalsausprägungen sind kennzeichnend für eine unerforschte Population / ein unerforschtes Feld?

Erklären

Viele Forschungsfragen gehen in ihrem Ziel über die Beschreibung hinaus und fragen nach Erklärungen für ein beschriebenes Phänomen (oder einen gefundenen Zusammenhang). Auch der Begriff "Erklärung" kann wieder unterschiedlich ausgelegt werden, nämlich mehr oder weniger kausal.

Streng kausal gedacht gelingt eine Erklärung, wenn eine bzw. die Ursache für das zu Erklärende gefunden werden kann. Hier geht es also, in klassisch naturwissenschaftlicher Tradition, um den Nachweis von Ursache-Wirkungs-Beziehungen.

Eine Subform bilden partielle Erklärungen. Oft ist es gar nicht möglich (und forschungspraktisch vielleicht auch nicht sinnvoll), in einer Forschungsarbeit alle Umstände aufzuzeigen, die für ein Erklärungsphänomen ursächlich sind. Der Erkenntnisbeitrag einer Forschungsarbeit soll dann oft darin liegen nachzuweisen, dass eine bestimmte Ursache einen Teil zur Erklärung beisteuert.

In allen Fällen findet die Erklärung auf der Ebene von Theorie statt, soll also immer in einer Generalisierung von der/den konkreten empirischen Beobachtung(en) in ein möglichst allgemeingültiges System von Aussagen bestehen.

Verstehen

Das Verstehen ist eine spezifische Form der Erklärung, welche vor allem in der qualitativen Forschung als Ziel zentral sein kann. Das "Verstehen" eines Phänomens bezieht sich hier weniger auf das Ursache/Wirkungs-Prinzip wie im allgmeinen Erklär-Prozess, sondern eher darauf zu erkennen wie das Phänomen zu Stande gekommen ist. Verstehen bedeutet somit komplexe Zusammenhänge der sozialen Wirklichkeit (subjektive und soziale Sinnwelten) von "innen heraus" zu begreifen. Denn die "Soziale Welt" ist nicht objektiv gegeben, sondern wird aus subjektiven und sozialen Sinnwelten konstruiert. Da Soziale Wirklichkeit eine komplexe interaktive Sinnproduktion darstellt, muss sie durch eine offene Analyse erschlossen werden, um verstanden werden zu können. Gerne mit Bezug auf die Besonderheiten von Einzelfällen, um subjektive Sinnwelten und persönliche Relevanzen rekonstruieren und spezifische, individuelle Prozesse nachzeichnen zu können.

Im folgenden Abschnitt wird es darum gehen, welche Varianten es bei der Verknüpfung von Empirie- und Theorie-Ebene in einem Forschungsdesign gibt.

Theorie und Empirie

Eine Theorie kann definiert werden als System von Aussagesätzen, die Begriffe (theoretische Konstrukte) miteinander in Beziehung setzen. Offensichtlich sollte zumindest eine Teilmenge dieser Sätze empirisch prüfbare Zusammenhänge postulieren.

Für das Zusammenspiel zwischen Theorie- und Empirie-Ebene werden in der Regel drei Prozesse unterschieden: Deduktion, Induktion und Abduktion.

Werden aus den verallgemeinerten Sätzen auf Theoriebene empirisch prüfbare Aussagen abgeleitet, spricht man von Deduktion. Was müsste, ausgehend von den Behauptungen der Theorie, konkret in der beobachtbaren (sozialen) Realität vorliegen? Diese Ableitung erfolgt ausschließlich mit logischen Mitteln.

Der umgekehrte Weg wird als Induktion bezeichnet. Hier geht es um das Grundproblem der Theoriegenerierung: Wie können wir von (notwendigerweise immer "speziellen", weil zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Fall gemachten) empirischen Beobachtungen zu einer Allgemeingültigkeit beanspruchenden Theorie kommen?

Der induktive Prozess beginnt direkt bei den Daten, weshalb stark auf Induktion abzielende Forschungsprozesse häufig auch als "empiriegeleitet" bezeichnet werden: (Einzelne) Fälle und Beobachtungen geben einen Rückbezug auf übergeordnete Theorien. Um zu einer Generalisierung zu gelangen versucht man, typische Muster herauszuarbeiten (--> vgl. Typenbildung/Klassifizierung als Teilziel deskriptiver Fragestellungen!) und aus Kontrastierungen und Zusammenhangsbeschreibungen zu Aussagen auf der Ebene theoretischer Begriffe zu gelangen.

Insbesondere in Diskussionen zu qualitativen Methoden wird problematisiert, dass mit den beiden vorangegangen Konzepten nicht vollständig erklärt werden kann, wie Wissenschaftler:innen zu gänzlich neuen Hypothesen/Theorien kommen. Mit dem Begriff "Abduktion" soll diese konzeptionelle Lücke gefüllt werden: Der Begriff beschreibt den (kreativen) Prozess, aus empirischen Daten zu neuen Hypothesen zu gelangen. Diese Begriffsbildung an sich führt natürlich noch nicht zu methodologisch formalisierten Prozess-Vorschlägen, wie dieser Prozess abläuft, ablaufen kann oder soll. Ein möglicher abduktiver Prozess liegt im Ausschau-Halten nach "unerklärlichen Mustern", auffälligen Zusammenhängen in den Daten, aus denen "geistesblitzartig" neue Hypothesen angestoßen werden könnten.

Forschungsarbeiten können sich in diesem Zusammenspiel aus Theorie und Empirie unterschiedlich verorten, indem die beiden Ebenen an unterschiedlichen Stellen und mit unterschiedlichem Fokus verknüpft werden:

  • Theorie-Generierung als induktiver Prozess, in dem aus empirischen Beobachtungen theoretische Sätze abgeleitet werden,
  • Testen von Theorien als deduktiver Prozess, in dem abgeleitete Hypothesen mit Empirie "konfrontiert" werden, oder
  • Theorie-Anwendung, in dem deduktive Ableitungen verwendet werden, um realweltliche Fragestellungen/Probleme zu lösen (z.B. Verwendung von Theorie für Vorhersagen). Der deduktive Prozess läuft hier ähnlich wie im Fall eines Theorietests. Man denke etwa an eine Wettervorhersage, die (eher) aus Gründen der praktischen Verwendung durchgeführt wird als zum Testen des verwendeten theoretischen Modells über die Zusammenhänge zwischen physikalischen Parametern und der Regenwahrscheinlichkeit.

Meist wird das Testen von Theorien als der "quantitative" Ansatz verstanden, während Theorie-Generierung als Aufgabe qualitativer Forschung gesehen wird. In der Praxis ist diese klare Trennung so aber gar nicht gegeben. Theorieentwicklung ist selbstverständlich auch ein wichtiges Ziel quantitativer Forschung, genauso wie der Abgleich empirischer Beobachtungen mit bereits bestehenden Theorien einen wesentlicher Schritt in qualitativen Forschungsprozessen darstellen kann.

Schießlich handelt es sich auch nicht um dichotome, disjunkte Forschungsziele, sondern eher um ein Kontinuum: Forschungsarbeiten können theorietestend angelegt sein und gleichzeitig an der (Weiter-)Entwicklung von Theorien interessiert sein. Zwischen den beiden Polen sind so zahlreiche Mischformen denkbar, für die wir den Begriff "theorieergänzend" verwenden können.

Erkenntnistheoretische Paradigmen und Forschungsdesigns

Verschiedene Forschungsziele und unterschiedliche Verortungen auf dem Kontinuum von Theoriegenerierung bis Theorietestung lassen zunächst offen, ob "quantitativ" oder "qualitativ" geforscht wird oder werden sollte. Wir wollen hier Döring/Bortz (2016, S. 33) folgend argumentieren, dass diese Unterscheidung in erster Linie "auf der Ebene der Forschungslogik bzw. der wissenschaftstheoretischen Begründung des Vorgehens", also erkenntnistheoretischer Paradigmen zu begründen ist. Aus diesen Überlegungen folgt dann auch die Verwendung bestimmter Datensorten – und nicht umgekehrt!

Wir verwenden den Begriff hier in der allgemeinen Begriffsbedeutung als "Grundauffassung", in unserem Fall bezogen auf die Beschaffenheit der Welt/der jeweiligen Untersuchungsgegenstände (Ontologie) und die möglichen/zulässigen Verfahrensweisen, zu Erkenntnissen über diese Untersuchungsgegenstände zu gelangen (Epistomologie/Erkenntnistheorie).

Davon Abzugrenzen ist die Verwendung im Sinne von Thomas S. Kuhns Begriffsverwendung als "Wissenschaftliches Paradigma", mit dem Theorie/Hilfstheorie/Methoden-Komplexe beschrieben werden, die für längere Zeit (auf fruchtbare Weise) die Forschung in einem Fachgebiet bestimmen können (bspw. die "Newtonsche Mechanik"), bis sie im Rahmen "wissenschaftlicher Revolutionen" durch neue Paradigmen (bspw. "Relativitätstheorie") abgelöst werden.

Wir können die erkenntnistheoretischen Grundlagen in diesem Workshop nur oberflächlich anreißen. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die jeweiligen Positionen gegeben werden:

Das Quantitative Paradigma

Quantitativ ausgerichtete Forschung orientiert sich am in erster Linie in den Naturwissenschaften entstandenen Paradigma des kritischen Rationalismus.

Ontologisch verortet sich das Paradigma im kritischen Realismus, nach dem

"a) eine vom menschlichen Bewusstsein unabhängige, bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgende Wirklichkeit existiert und diese b) zumindest teilweise für den Menschen erkennbar ist, wobei jedoch in Abhängigkeit vom menschlichen Wahrnehmungs- und Denkapparat immer mit mehr oder minder starken Verzerrungen zu rechnen ist" (Döring/Bortz 2016: S. 58).

Diese ontologische Position wird ausdrücklich auch auf die soziale Wirklichkeit angewendet. Wir gehen davon aus, dass das "soziale Leben" genauso kausalen Gesetzmäßigkeiten folgt wie die Natur. In der Regel werden diese Gesetzmäßigkeiten allerdings nicht deterministisch, sondern probabilistisch sein und menschliches Verhalten oder kausale Zusammenhänge in der sozialen Wirklichkeit nie 100%ig "vorhersagen", sondern immer nur Tendenzen für bestimmte Wirkungen der untersuchten Ursachen beschreiben.

Es ggf. wichtig anzumerken, dass die Annahme, dass (auch) die soziale Wirklichkeit unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existiert und (kausalen) Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist in keiner Weise in Widerspruch dazu steht, die soziale Realität als Ergebnis "sozialer Konstruktionen" zu verstehen. Es ist eben gerade das Zusammenspiel sozialer Konstruktionen, dass die soziale Wirklichkeit auszeichnet, und das den aufzudeckenden Gesetzmäßigkeiten unterliegt.

Epistomologisch fußt das Paradigma auf dem menschlichen Verstand als Ausgangspunkt aller Erkenntnis (Rationalismus). Die Gegenposition bestünde im Positivismus/Empirismus, nach dem Erkenntnis (induktiv) aus empirischen Beobachtungen gewonnen werden kann. Hier gehen wir dagegen davon aus, dass Erkenntnisgewinnung bei Vermutungen, Ideen, Hypothesen über die empirische Realität beginnen muss. Erkenntnisgewinn ist dann dadurch möglich, diese Vermutungen an der Empirie zu testen, und im Zweifel zu verwerfen (daher "kritischer" Rationalismus). Genau deshalb ist das hypothesenprüfende Vorgehen so grundlegend für quantitative Forschung!

Wichtig ist, dass kein "naiver", sondern ein "methodologischer" Falsifikationismus angewendet wird. Widerspricht eine empirische Beobachtung einer Hypothese, wird diese nicht sofort verworfen. Vielmehr wird die Entscheidung über eine Hypothese immer unter Berücksichtigung methodischer Überlegungen getroffen, d.h. es wird berücksichtigt, wie belastbar die sogenannten "Hilfstheorien" sind, die für das Erheben der Daten verwendet wurden (als einfaches Beispiel: "Befragte machen ehrliche Angaben").

Zur Entscheidung über eine Hypothese wird das sogenannte deduktiv-nomologische Schema (DN-Schema) verwendet. Die Erklärung (Explanans) für eine Beobachtung (das Explanandum) besteht dabei im einfachsten Fall aus einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit (der zu prüfenden Hypothese) und einer (beobachtbaren) Randbedingung. Aus Randbedingung und Gesetzmäßigkeit folgt qua logischem Schluss eine Vorhersage über das erwartete Ergebnis – weicht die empirische Beobachtung davon ab, ist die Hypothese zu falsifizieren (unter Beachtung der Überlegungen zum methodischen Zustandekommen der Beobachtung).

Wenn wir an dieser Stelle berücksichtigen, dass unsere Hypothesen in der Regel nicht deterministisch, sondern probabilistisch sind, wird offensichtlich, warum im quantitativen Paradigma meist mit standardisierten Daten und großen Fallzahlen gearbeitet wird:

Verwenden wir im DN-Schema eine probabilistische Hypothese als "allgemeine Gesetzmäßigkeit", erhalten wir auch ein probabilistisches Explanandum: eine Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines bestimmten Ergebnisses. Eine solche Vorhersage lässt sich nur mit einer großen Zahl vergleichbarer Beobachtungen prüfen bzw. falsifizieren. Erst wenn ein Ergebnis in deutlich mehr Fällen als erwartet eintritt können wir schließen, dass die aufgestellte Hypothese unsere Beobachtung nicht erklären kann und als falsifiziert anzusehen ist.

Das Qualitative Paradigma

Auch die Qualitative Forschung bezieht sich auf diverse Paradigmen, so gibt es beispielsweise:

  • Interpretatives Paradigma
  • Natur Soziologie/Natural Sociology
  • Symbolischer Interaktionismus

Interpretatives Paradigma

"... könnte am besten als eine grundlegende theoretische Position beschrieben werden, die davon ausgeht, dass jede Interaktion ein interpretativer Prozess darstellt, in dem die Akteure durch bedeutungsstiftende Interpretationen dessen, was der andere tut oder tun könnte, zueinander in Beziehung treten." (Matthes 1976)

Das interpretative Paradigma stellt eine wesentliche Grundlage der qualitativen Forschung dar. Die Grundannahme stammt aus einem Bereich der Wissenssoziologie und besagt, dass soziale Wirklichkeit durch Interpretationsakte strukturiert wird. Soziale Zusammenhänge sind also keine rein objektiven, deduktiven sozialen Tatsachen, sondern in erster Linie das Ergebnis eines interpretationsgeleiteten Prozesses, z.B. einer Interaktion zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft. Eine methodische Konsequenz, die sich aus dieser komplexen, sozialen Konstruktion ergibt, ist das Ziel der Theoriebildung als einen interpretativen und induktiven Prozess zu betrachten (rekonstruktive Leistung).

Natur Soziologie / Natural Sociology

Ein weiteres sehr zentrales Paradigma stellt die Natur Soziologie dar. Der Untersuchungsgegenstand ist hier die natürliche Umwelt von Individuen und Gruppen, forschungspraktisch wäre hier z.B. Bereiche der Chicagoer School zu nennen, aber auch klassisch ethnografische Feldforschung. Der Fokus liegt hier eher auf einem deskriptiven Ansatz, denn der eingrenzbare Aktionsradius ist die Entdeckung sozialer Milieus und Lebensräume von untersuchten Personen. Es handelt sich hier also um eine explorative und offene Art der Forschung. Ergänzt wird das Paradigma der Natur Soziologie durch den Natural History-Ansatz, welcher Verfahren, Prozesse und Phänomene als sozial betrachtet, wenn sie eine interaktiv konstruierte Geschichte darstellen. Es gilt, bestimmte (neue) Muster, Typologien und Kontraste im Feld zu entdecken. Natural History sieht einen Vorteil in der Kombination von Deduktion und Induktion, so dass auch quantitative Daten integriert werden können, auch wenn der Schwerpunkt auf die Entdeckung neuer Theorien liegt und somit die Induktion im Vordergrund steht. Methodische Konsequenzen, die sich hier ergeben sind Methoden der (teilnehmenden) Beobachtung und des offenen Interviews, die Verwendung von vielfältigem Material auch gerne in Kombination, die Suche nach Typologien in den Daten, eine Rekonstruktion von Entwicklungsphasen, sowie das Einfangen sogenannter ganzheitlicher Perspektiven. Die wissenschaftstheoretische Logik ist hier "vom Konkreten zum Abstrakten".

Symbolischer Interaktionismus

Ein weiteres Paradigma, was die qualitative Forschung prägt stellt der "Symbolische Interaktionismus" dar. Unter dem Symbolischen Interaktionismus wird ein wechselseitiges, aufeinander bezogenes Verhalten von Individuen und Gruppen unter Verwendung gemeinsamer Symbole verstanden. Die Gedanke dahinter ist, dass es historisch und gesellschaftlich fixierte Grundbedeutungen von Symbolen gibt, die gelernt und erlernt werden müssen. Symbole meinen hier Vorgänge oder Gegenstände, die auf etwas Bestimmtes verweisen und dadurch Kulturprodukte sind, z.B. die Flagge als Symbol für eine Nation. Man geht davon auch, dass es historisch und gesellschaftlich festgelegte Grundbedeutungen gibt, die jedes Gesellschaftsmitglied lernt, wenngleich auch hier individuelle Ausprägungen zu Unterschieden führen können. Die zentrale Grundannahme im Bezug zur qualitativen Forschung ist hier, dass Soziale Interaktionen geprägt von und abhängig von verwendeten Symbolen ist. Soziales Handeln wird hier zum Forschungsschwerpunkt, mit dem Fokus die Funktion und Bedeutung der verwendeten Symbolsysteme zu entdecken, insbesondere wenn subjektive Deutungsebenen der Akteur:innen in konkreten Situationen zu beleuchten sind. Zudem kann das Erlernen dieser Symbole bewusst und unbewusst erfolgen, auch Sprache und Kommunikation stellen hier ein besonders bedeutsames Symbolsystem dar. Als methodische Konsequenz ergibt sich die Verwendung qualitativer Methoden, um eben diese persönliche Relevanzen und Erfahrungsräume rekonstruieren zu können (vgl. Helle 1977; Käsler 1974). Das Ziel hinter diesem Paradigma stellt ein offenes, sensibles und vorurteilsfreies Erkunden dar, sowie die Bereitschaft die eigenen Konzepte zu hinterfragen und zu überprüfen. Ein weiteres Ziel ist die Inspektion und meint eine intensive, konzentrierte Auseinandersetzung mit dem empirischen Gehalt der Forschungsergebnisse. Hier sind neben dem gesamten Kontext, auch andere Fälle zum Vergleich bedeutend.

Literaturhinweise

BERGER P. / Luckmann, T. (1980): Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt am Main: Fischer Verlag.

BRYMAN, A. (2016): Social Research Methods. Oxford: Oxford University Press, 5. edition

DE VAUS, David A. (2001): Research Design in Social Research. London: Sage.

DÖRING, N. / Bortz, J. (2016): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften. Berlin, Heidelberg: Springer

FLICK, U. (2007): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Verlag

KUCKARTZ, U. (2014): Mixed Methods. Methodologie, Forschungsdesigns und Analyseverfahren. Wiesbaden: Springer VS.

LAMNEK, S. / Krell, C. (2016): Qualitative Sozialforschung. Weinheim und Basel: Beltz

PRZYORSKY, A. / Wohlrab-Sahr, M. (2014): Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. Oldenbourg: De Gruyter

TOSHKOV, D. (2016): Research Design in Political Science. London: Palgrave.

Creative Commons Lizenzvertrag

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

Autor*innen dieses Artikels

Sebastian Gerhartz (Methodenzentrum, Yvonne Kohlbrunn (Methodenzentrum)

Diese Seite wurde zuletzt am 20.10.2022 aktualisiert.