Beobachtungen aufschreiben
Die zentrale Aufgabe der Beobachtenden ist die Verschriftlichung von Beobachtungen. Das was so banal klingt, ist in der Praxis gar nicht so einfach und bedarf einiges an Übung. So sind insbesondere zwei Dinge besonders herausfordernd:
- Oft erschlägt die Flut an sinnlichen Wahrnehmungen und Informationen in den ersten Tagen oder Wochen, sodass es eine Tendenz gibt, möglichst viel, aber dafür notwendig wenig detailreich zu notieren. Die Herausforderung ist, ein angemessenes Maß an Detaillierung zu finden, damit die erhobenen Daten auch für eine Analyse brauchbar sind.
- Darüber hinaus ist es sehr anspruchsvoll, das Beobachtete so zu versprachlichen und verschriftlichen, dass die Verschriftlichung sowohl nah am ‚tatsächlich‘ Beobachteten im Feld bleibt als auch für Menschen sinnvoll und nachvollziehbar ist, die das Feld nicht kennen.
Um diesen beiden Herausforderungen zu begegnen, wird häufig ein zweischrittiges Verfahren vorgeschlagen: Zunächst werden Notizen während bzw. kurz nach der Beobachtung im Feld gemacht (Feldnotizen), welche in einem zweiten Schritt zu nachvollziehbaren Texten (Beobachtungsprotokollen) ausformuliert werden. Beide Schritte unterscheiden sich maßgeblich in der Art und Weise der Verschriftlichung. In beiden Phasen werden sogenannte Memos gemacht. Diese dienen dazu, Kommentare oder Fragen bzgl. der eigenen Forschungsfrage zu notieren.
Arten von Verschriftlichungen
Feldnotizen
Für die Notizen, die direkt während oder kurz nach der Beobachtung aufgeschrieben werden, ist es empfehlenswert ein handliches Notizbuch zu kaufen, das man immer bei sich trägt. Przyborski und Wohlrab-Sahr schlagen vor, zwischen verschiedenen Typen von Notizen zu unterscheiden. Sie differenzieren zwischen „Kontextinformationen“, „Beobachtungen“, „methodischer und Rollenreflexion“ und „theoretischer Reflexion“ (2009, S. 49). Im engeren Sinn Feldnotizen sind dabei Kontextinformationen und Beobachtungen; Rollen- und theoretische Reflexionen sind bereits analytische Notizen und damit Memos. Entweder kann man sich vorher eine Tabelle mit diesen verschiedenen Spalten ins Notizbuch zeichnen, in die man direkt Notizen einträgt oder man arbeitet mit verschiedenen Stiften oder Kürzeln, um die Notizen einem jeweiligen Bereich zuordnen.
Beispiel: Feldnotizen in einer Schulklasse
Fragen für Feldnotizen
Beobachtungsprotokolle
Beobachtungsprotokolle sind ausformulierte Texte, welche auf der Basis von Feldnotizen zuhause am Schreibtisch geschrieben werden. Die Ausformulierung der Beobachtungsprotokolle zwingt die Forschenden dazu, die eigenen Erfahrungen für ein imaginäres Publikum nachvollziehbar zu explizieren. Diese Explikation ist bereits Teil der Analyse, da entschieden werden muss, welche Situationen wie genau – in welcher Detailliertheit, mit welcher Wortwahl oder mit welchen Zusatzinformationen etc. – ausformuliert werden sollen. Bei längeren Feldaufenthalten kann nie alles, was beobachtet wurde, wirklich in Beobachtungsprotokolle überführt werden (eine Faustregel ist, dass jede Stunde Beobachtung auch eine Stunde Beschreibungsarbeit erfordert (Breidenstein et. al 2013: 97)). Geschriebene Beobachtungsprotokolle sind die entscheidende Datengrundlage in der ethnographischen Forschung. Breidenstein et. al (2013) unterscheiden zwischen zwei Phasen in der Anfertigung von Beobachtungsprotokollen: (1) Schreiben im flow, (2) Überarbeiten und Explizieren.
- Für die erste Phase gilt es die Erinnerungen, die noch frisch sein sollten, unbeachtet von Grammatik und Verständlichkeit einfach ‚runterzuschreiben‘. Es ist wichtig, dass man zunächst einfach die Worte verwendet, die einem intuitiv sinnvoll und passend erscheinen.
- In der zweiten Überarbeitungsphase sollte das Geschriebene dann dahingehend, sowohl formal als auch inhaltlich, überarbeitet werden, dass es für ein imaginäres Publikum lesbar und verständlich ist. Das bedeutet, dass implizites Wissen der forschenden Person expliziert werden muss und Handlungs- und Prozessstränge nachvollziehbar dargestellt werden müssen.
Memos
Memos sind analytische Notizen, die sich in einer Meta-Perspektive auf das Forschungsprojekt als solches beziehen. Es ist wichtig, diese übergeordneten Notizen von den eigentlichen Beobachtungen zu trennen, um nicht vorschnell gemachte Beobachtungen zu theoretisieren. In Memos wird oft bereits Fachsprache verwendet. Das Formulieren von Memos bei der Datenerhebung ist äußerst bedeutsam für...
Da bei vielen qualitativen Beobachtungsstudien zu Beginn der Forschung der Beobachtungsfokus noch sehr weit ist, ist es wichtig, diesen nach und nach einzugrenzen. In Memos können Forschungsfragen oder erste Thesen ausformuliert werden oder festgehalten werden, wenn eine Frage (doch) nicht gewinnbringend erscheint.
Für eine qualitative Beobachtungsstudie ist es wichtig zu entscheiden, welche beobachteten Szenen als Fälle in die Forschungsarbeit aufgenommen werden. In Memos kann notiert werden, welche Szenen für welche Aspekte der Forschungsfrage bedeutsam oder welche weiteren Interaktionen interessant sein könnten.
Die Beziehung zu den Akteur*innen des Feldes ist in der teilnehmenden Beobachtung absolut zentral. In Memos wird festgehalten, wie die eigene Position im Feld wahrgenommen wird, ob es Rollenkonflikte gibt und was getan werden könnte, um Arbeitsbündnisse zu intensivieren.
Memos beziehen sich oft auf die konkreten nächsten Schritte im Forschungsprozess, wie bspw. Überlegungen zu Ort und Zeit von folgenden Beobachtungen oder auch Recherchefragen für zuhause.
Zusammenfassung
Literatur
Breidenstein, Georg; Hirschauer, Stefan; Kalthoff, Herbert (2013): Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. Konstanz: UTB.
Przyborski, Aglaja; Wohlrab-Sahr, Monika (2014): Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. 4. Auflage. München: Oldenbourg Verlag.
Reh, Sabine (2012): Beobachtung aufschreiben. Zwischen Beobachtungen, Notizen und „Re-writing“. In: Boer, Heike de; Reh, Sabine (Hg.) (2012): Beobachtung in der Schule - Beobachten lernen. Wiesbaden: Springer VS.