Gruppendiskussion
Bei der Gruppendiskussion handelt es sich um eine qualitative Erhebungsmethode, bei der eine Kommunikationssituation erzeugt werden soll, die einem Alltagsgespräch ähnelt. Dabei sollen nicht nur Argumente ausgetauscht werden, sondern auch Erzählungen und Erinnerungen generiert und ergänzt werden. Das Ziel der Gruppendiskussion ist es, je nach Fragestellung und theoretischem Hintergrund, den interaktiven Charakter von Sinnzuschreibungen, die interaktive Entstehung von Meinungen oder aber kollektive Orientierungen über ihre Artikulation oder in ihrem Entstehungsprozess zu betrachten.
Von der Gruppendiskussion abzugrenzen ist die sogenannte Focus Group, die beispielsweise in der Marktforschung eingesetzt wird, um so zeiteffizient wie möglich reichhaltiges Material zu einem gemeinsam erlebten Stimulus zu erhalten. Dieses Verfahren stufen Przyborski & Riegler (2010) im Gegensatz zur Gruppendiskussion als methodisch mangelhaft ein.
Wann ist eine Gruppendiskussion die richtige Wahl?
Eine Gruppendiskussion ist dann sinnvoll einsetzbar, wenn entweder Phänomene untersucht werden sollen, die bereits in sich als kollektiv angenommen werden (z. B. kollektive Orientierungen oder Sinnzuschreibungen) oder wenn individuellen Phänomenen in ihrer Entstehung oder Artikulation eine kollektive Ebene unterstellt wird, die untersucht werden soll. Insbesondere in der Dokumentarische Methode hat sich die Gruppendiskussion als beliebtes Erhebungsverfahren etabliert.
Das Ergebnis einer Gruppendiskussion als eine Summe von Einzelmeinungen zu betrachten, ohne dem interaktiven Prozess, der stattgefunden hat, eine Bedeutung beizumessen ist hingegen nicht sinnvoll. Für die Erhebung von Einzelmeinungen sind Interviewverfahren geeigneter.
Bei der Überlegung, ob die Gruppendiskussion ein angemessenes Verfahren ist, kann es auch sinnvoll sein, die Stärken und Schwächen des Verfahrens gegenüberzustellen:
- Die gegenseitige Beeinflussung der Teilnehmenden spiegelt Alltagssituationen wieder und macht die Erhebungssituation weniger künstlich als beispielsweise ein Interview.
- Erst im Gespräch sieht man sich dazu gedrängt, seine Meinung zu benennen und zu verteidigen, sodass tieferliegendere Einstellungen zum Vorschein kommen können.
- Soziale Erwünschtheit kann die Äußerung "privater" Meinungen verhindern.
- Die Abhängigkeit der Ergebnisse von der Gruppendynamik kann die Vergleichbarkeit zwischen Gruppen erschweren.
- Meinungsführer können die Diskussion an sich reißen, was insbesondere bei einem hohen Anteil schweigender Personen zu einem Problem werden kann.
- Es bestehen hohe Ansprüche an die Diskussionsleitung, da moderierende Eingriffe aus der Situation heraus entschieden werden müssen.
- Über eine Handlungspraxis zu reden, fokussiert einen anderen Aspekt des Handelns als die Beobachtung der Handlungspraxis selbst.
- Die Erhebung von Prozessen über einen längeren Zeitraum hinweg ist nicht gut möglich, da längere Erzählungen über frühere Phasen selten aus einer Gruppendynamik heraus entstehen.
Gerade die Schwächen 5 und 6 deuten darauf hin, dass es je nach Frage sinnvoll sein kann, eine Methodentriangulation mit Beobachtungsverfahren oder narrativen Interviews durchzuführen.
Vorbereitung einer Gruppendiskussion
Angenommen, die Erkenntnisabsicht ist bereits geklärt, so müssen dennoch noch einige Fragen zur Gruppe sowie zu den Bedingungen vor Ort geklärt werden.
Darüber hinaus sollte außerdem ein Leitfaden erstellt werden, bei dem es folgende Punkte zu beachten gilt:
- Die enthaltenen Fragen sollten in der Regel offen und allgemein gehalten sein.
- Je nachdem, wie viel Vorwissen über das behandelte Thema existiert und wie sehr die Gruppen untereinander vergleichbar sein sollen, kann der Leitfaden mehr oder weniger stark strukturiert sein.
- Für eine ein- bis zweistündige Diskussion empfehlen sich vier bis sechs Themen, bzw. Fragen.
- Der Leitfaden sollte in der Diskussion flexibel gehandhabt werden.
Moderation einer Gruppendiskussion
Grundlegend für die Moderation einer Gruppendiskussion ist die Überlegung, dass sich in Diskussionen eine dichte Interaktion der Beteiligten entwickelt, welche auf Grundlage von strukturidentischen Erfahrungen miteinander diskutieren.
Da es diese strukturidentischen Erfahrungen sind, welche üblicherweise mit Hilfe einer Gruppendiskussion identifiziert und analysiert werden sollen, ist es das Ziel der*des Moderierenden, dass solche Interaktionen stattfinden können und die entsprechenden Themen ausdiskutiert werden.
Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, eine Selbstläufigkeit der Diskussion anzustreben, wodurch die Beteiligten sich eigenständig auf entsprechende gemeinsame Erfahrungen einpendeln können. Unterbrechungen durch die Moderation stören diesen Prozess, sodass Eingriffe wohlüberlegt sein sollten.
Darüber hinaus trägt es zur Selbstläufigkeit der Diskussion bei, wenn Themen sehr vage initiiert und mit leicht verändertem Schwerpunkt reformuliert werden, sodass den Beteiligten ein möglichst großer Interpretationsspielraum bleibt. Die Beteiligten sollten diese Themen dann auch selbstständig abschließen, da die Art und Weise dieses Abschlusses wichtig für die Analyse sein kann. Grundsätzlich sollte der*die Moderierende erst dann in die Diskussion eingreifen, wenn sie ohne einen Abschluss zum Erliegen kommt, um eine weitere Vertiefung zu ermöglichen. Entsprechende Interventionen sollten sich dann immer an die ganze Gruppe richten, da eine Fokussierung auf einzelne Teilnehmer die Dynamik des Gesprächs beeinflussen würde.
Kühn und Koschel (2011) geben darüber hinaus einige Empfehlungen für eine gelungene Moderation:
Außerdem gehen sie auf häufige Fehler ein, wobei sie allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern diese Auflistung eher als eine Heuristik betrachten:
Zusammenfassung
Literaturhinweise
Kühn, Thomas/Koschel, Kay-Volker (2018): Gruppendiskussionen. Ein Praxishandbuch. Springer VS; 2. Aufl. 2018 Edition (7. August 2017), Wiesbaden
Przyborski, Aglaja/Wohlrab Saar, Monika (2014): Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. 4., erweiterte Auflage, München: Oldenbourg.