Forschungsethik in der qualitativen Sozialforschung

Wenn wir Forschung betreiben, müssen wir stets bedenken, inwiefern unsere Forschung auch Schaden anrichten kann. Deshalb befassen wir uns im folgenden Artikel mit Fragen zur Forschungsethik. Die Anwendung forschungsethischer Grundsätze ist ein integraler Bestandteil jedes empirischen Forschungsprojekts. Forschungsethik ist dabei wie folgt definiert:

„Unter dem Stichwort ‚Forschungsethik‘ werden in den Sozialwissenschaften im Allgemeinen all jene ethischen Prinzipien und Regeln zusammengefasst, in denen mehr oder minder verbindlich und mehr oder minder konsensuell bestimmt wird, in welcher Weise die Beziehung zwischen den Forschenden auf der einen Seite und den in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen einbezogenen Personen auf der anderen Seite zu gestalten sind.“ (Hopf 2010, S. 195)

forschungsethik.png

Die Beziehung zwischen Teilnehmenden und Forschenden ist stets gekennzeichnet durch eine Wissens- und Machtasymmetrie. Die Forschenden wissen stets mehr über das jeweilige Forschungsvorhaben als die Teilnehmenden. Das Ziel forschungsethischer Überlegungen liegt darin, die Beziehung zwischen Forschendem und Teilnehmenden so zu gestalten, dass der Teilnehmende keinen Schaden durch die Forschung erhält.

Ethikkodizes

Die meisten Fachgesellschaften der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer haben einen sogenannten „Ethikkodex“ verabschiedet, in dem festgelegt wird, nach welchen ethischen Grundsätze Forschung im jeweiligen Fach gestaltet werden soll. Die in diesem Artikel vorgestellten, forschungsethischen Grundsätze finden sich in unterschiedlichen Formulierungen in den nachfolgend genannten Ethikkodizes:

Für qualitativ Forschende können u.a. der Ethikkodex der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS), der Ethikkodex der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) , der Ethikkodex der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) oder die Berufsethischen Richtlinien des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. relevant sein.

Forschungsethische Grundsätze

Quiz: Forschungsethische Grundsätze

Forschungsethik als Prozessethik

Die vorgestellten forschungsethischen Grundsätze sollen bei qualitativen Forschungsprojekten beachtet werden. Grundsätzlich zeichnen sich qualitative Forschungsprozesse durch eine große Offenheit aus. Dadurch entsteht die Herausforderung forschungsethische Grundsätze auch dann zu beachten, wenn im Vorhinein die Entwicklung des Forschungsprozesses nicht vollkommen abzusehen ist.

Beispielsweise kann im Verlauf einer Interviewstudie deutlich werden, dass andere Aspekte für das untersuchte Phänomen wichtig sind als zunächst angenommen. Der*die Forschende will nun bei den künftigen Interviews, zu denen bereits Termine vereinbart wurden, diese Aspekte miteinfließen lassen. In dem Informationsschreiben, was ursprünglich an die möglichen Interviewteilnehmer*innen verschickt wurde, wird aber über jene Aspekte nicht informiert. Im Rahmen einer ethnographischen Studie könnte es zum Beispiel dazu kommen, dass der*die Forschende spontan eingeladen wird zu einer Veranstaltung mitzukommen. Nun ist es nicht mehr möglich, alle Personen, die an der Veranstaltung teilnehmen, über die Forschung zu informieren.

Aufgrund der Vagheit des Forschungsprozesses stehen die Forscher*innen hinsichtlich der Forschungsethik immer wieder vor neuen Problematiken oder Herausforderungen. Deshalb gilt es, Forschungsethik nicht nur als etwas zu begreifen, worüber man sich „am Anfang“ des Forschungsprozesses Gedanken macht, sondern Forschungsethik muss als eine Prozessethik verstanden werden:

„Ziel einer Prozessethik ist es, Entscheidungswege zu reflektieren und festzulegen. So ist es möglich, auch bei unerwarteten ethischen Herausforderungen Entscheidungen zu fallen, selbst wenn für die konkrete Frage noch keine Verhaltensregel vorgegeben ist.“ (Kiegelmann 2010, S. 388)

Ethikkommissionen – Institutionalisierte Prüfverfahren

In einigen Fächern, wie der Medizin oder der Psychologie, gehören forschungsethische, institutionalisierte Prüfungsverfahren zum festen Bestandteil des Forschungsprozesses. Sogenannte Ethikkommissionen, die entweder an der Fakultät, Universität oder einer Fachgesellschaft angebunden sind, überprüfen das Forschungsvorhaben hinsichtlich forschungsethischer Grundsätze und geben ein Votum für oder gegen die Durchführung des Forschungsvorhabens ab.

In den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern sind Ethikkommissionen weit weniger institutionalisiert – jedoch zeichnet sich eine Tendenz zur stärkeren Verankerung von Ethikkommissionen ab. Zunehmend wird ein Votum einer zuständigen Ethikkommission bei drittmittelfinanzierter Forschung verlangt. Auch international sind Ethikkommissionen stärker etabliert als in Deutschland.

Innerhalb der qualitativen Sozialforschung wird die zunehmende Institutionalisierung von Ethikkommissionen kritisch diskutiert. Teilweise wird Ethikkommissionen – insbesondere aufgrund von Erfahrungen mit Prüfverfahren in nordamerikanischen Forschungskontexten – Willkürlichkeit und Unvermögen vorgeworfen. Den flexiblen und offenen qualitativen Forschungsvorhaben würden Prüfverfahren häufig nicht gerecht. Insgesamt ist anzumerken, dass Ethikkommissionen immer nur Forschungsvorhaben im Vorhinein bewerten können. Wie der*die Forschende konkret forschungsethische Grundsätze im Forschungsprozess umsetzt, wird von Ethikkommissionen nicht überprüft.

Historische Entwicklung der Forschungsethik

Im Folgenden sollen einige Meilensteine in der Herausbildung forschungsethischer Standards und Institutionen präsentiert werden, wobei vor allem auf die Situation in der Medizin (als Vorreiter auf diesem Feld) und in den Sozialwissenschaften eingegangen wird.

Forschungsethische Skandale

Wie wichtig es ist, bei der Konzeption und Durchführung von Forschungsprojekten forschungsethische Fragen zu berücksichtigen, lässt sich am besten illustrieren, indem einige Forschungsprojekte skizziert werden, die den oben erläuterten Standards nicht genügt haben.

Forschungsethik und Social Media Daten

In der Forschung mit Social Media Daten ergeben sich einige forschungsethische Herausforderungen, die in der analogen Forschung nicht in dieser Form existieren. So stellt sich die Frage danach, als wie öffentlich die relevanten Daten zu betrachten sind, unter welchen Umständen von informiertem Einverständnis auszugehen ist, wie die Anonymität der Befragten auch im Hinblick auf die Existenz von Suchmaschinen sicherzustellen ist und wie mit dem Schädigungsrisiko für Forschende und Beforschte umzugehen ist.

Im Folgenden soll ein aus dem britischen Diskurs hervorgegangenes Framework zum forschungsethisch korrekten Umgang mit Social Media Daten präsentiert werden. Dabei gilt es zu bedenken, dass entsprechende Abwägungen in der Verantwortung der Forschenden liegen und dass ein solches Framework in Anbetracht der konstanten Veränderung der genutzten Technologien kein fixes Regelwerk sein kann, sondern an die konkrete Situation und die konkret beforschte Plattform angepasst werden muss.

Zusammenfassung

Literaturhinweise

Hopf, Christel (2010): Forschungsethik und qualitative Forschung. In: Wulf Hopf und Udo Kuckartz (Hg.): Schriften zur Methodologie und Methoden qualitativer Forschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 195-205.

Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) (2017): Forschungsethische Grundsätze und Prüfverfahren in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Berlin.

Townsend, Leanne und Wallace, Claire (2016): Social Media Research: A Guide to Ethics. University of Aberdeen. (https://www.gla.ac.uk/media/Media_487729_smxx.pdf)

Unger, Hella von (2014): Forschungsethik in der qualitativen Forschung: Grundsätze, Debatten und offene Fragen. In: Hella von Unger, Petra Narimani und Rosaline M´Bayo (Hg.): Forschungsethik in der qualitativen Forschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 15-40.

Creative Commons Lizenzvertrag

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

Autor*innen dieses Artikels

Carla Scheytt (Methodenzentrum)
Julius Kötter (Methodenzentrum)
Yvonne Kohlbrunn (Methodenzentrum)

Diese Seite wurde zuletzt am 10.10.2023 aktualisiert.